Die Auferstehung Bulgariens

Im frühen 18. Jahrhundert begann sich eine Bewegung zur nationalen Wiederbelebung in Bulgarien zu entwickeln. Diese mußte unter den Bedingungen der türkischen Beherrschung arbeiten und zielte auf die nationale Befreiung Bulgariens ab. Eine der herausragenden Persönlichkeiten der Nationalen Befreiungsbewegung in Bulgarien war Paisij von Hilendar, ein Mönch aus den Klöstern Zograph und Hilendar vom Heiligen Berg Athos in Griechenland, der 1762 ein Buch über die slawisch-bulgarische Geschichte verfaßte. In ihm berichtete er mit einem Gefühl nationalen Stolzes über die herrliche Vergangenheit Bulgariens als unabhängiger Staat. Zur gleichen Zeit enthüllte er die schwierige Situation der Menschen unter der Herrschaft der türkischen Eroberer und des Patriarchats von Konstantinopel. Paisij von Hilendar definierte die Ziele der nationalen Wiederbelebung: eine unabhängige bulgarische Kirche und die nationale Befreiung.

Die slawisch-bulgarische Geschichte von Paisij von Hilendar hatte eine mächtige Auswirkung auf die Bulgaren. Man verstärkte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Kampf für eine unabhängige bulgarische Kirche, als viele Priester es ablehnten, den griechischen Bischöfen zu gehorchen, die vom Patriarchat in Konstantinopel für die bulgarischen Städte ernannt worden waren. In vielen Kirchen wurde der Gottesdienst nun auf Bulgarisch statt auf Griechisch abgehalten. Schließlich erfüllte die türkische Zentralmacht einen der Wünsche der Bulgaren und beugte sich der Forderung nach Unabhängigkeit für die bulgarische Kirche. Im Februar 1870 wurde ein Dekret zur Einrichtung eines unabhängigen bulgarischen Exarchats erlassen. Das Exarchat schloß die Diözesen mit vorwiegend bulgarischer Bevölkerung ein. Auf diese Art erreichten die Bulgaren die nationale Vereinigung vor der politischen Befreiung, innerhalb des Gerüstes des bulgarischen Exarchats.

Vor der nationalen Revolution
Einer der erste Organisatoren eines Befreiungskampfes gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Georgi Stoikov Rakovski. Er war der Organisator der ersten und zweiten bulgarischen Legionen in Belgrad als Teil der sogenannten "Abtrennungstaktiken" im Befreiungskampf. Zu den ersten bewaffneten Konflikten kam es in Bulgarien in den Jahren 1867 und 1868. Die Taktik erwies sich jedoch nicht als erfolgreich.

Vasil Levski entwickelte die Idee eines bewaffneten Volksaufstandes. Sein Ziel war die Bekämpfung von Tyrannei und Unmenschlichkeit. Nach seiner Ansicht sollten in einem befreiten Bulgarien alle Völker, also Bulgaren, Türken, Juden und alle anderen die gleichen Rechte haben. Er reiste über Land und versuchte seit 1868 die Menschen auf seine Seite zu ziehen. Ende 1872 wurde Levski von den türkischen Behörden gefangengenommen. Man brachte ihn nach Sofia und stellte ihn vor ein Sondergericht. Er wurde zum Tode verurteilt und außerhalb Sofias am 18. Februar 1873 gehängt.

Die Idee der nationalen Wiederbelebung lebte aber fort. Der große bulgarische Dichter Hristo Botev verklärte Levskis Tod als Urteil einer "schrecklichen Macht" und zeigte Wege zur Wiedererlangung der ersehnten Freiheit auf. Er drückte seine Ideen in seinen Gedichten, Artikeln und Feuilletons aus, die in Zeitungen der Exilanten veröffentlicht wurden. Botev nahm aktiv am Aprilaufstand als ein Anführer einer Abteilung von 200 Männern teil. Er starb am 1. Juni 1876 durch eine Kugel.

Der Aprilaufstand
Am 20. April 1876 kam es zum Auftand gegen die türkische Herrschaft. Anführer des Aufstandes war Georgi Benkovski, der in den Jahren zuvor Menschen in einem revolutionären Umfeld um sich gesammelt hatte. Der Aufstand wurde von der Region Plovdiv aus mit den Zentrum in Panagjurishte organisiert.
Nach zwei Wochen wilder Kämpfe wurden die Aufständischen durch das zahlenmäßig überlegene und besser ausgestattete türkische Militär und paramilitärische türkische Truppen besiegt. Der Aufstand wurde mit schrecklicher Grausamkeit niedergeworfen, dabei verloren 30.000 Menschen ihr Leben. Die türkischen Truppen richteten furchtbare Massaker unter der bulgarischen Bevölkerung an. In der Stadt Batak wurden 5000 Bulgaren ermordet, unter ihnen viele Frauen und Kinder.
Die Brutalität, mit der dieser Aprilaufstand im Blut erstickt wurde, hatte aber endlich Folgen. Er hatte in vielen europäischen Ländern Entrüstung und Proteste erweckt. Nun folgten Ereignisse, die Bulgariens Geschichte entscheidend verändern sollten.

Der russisch-türkische Krieg und die Befreiung Bulgariens
Die Ereignisse in Bulgarien provozierten eine breite Empörung in Rußland, auf das die Bulgaren ihre Hoffnungen auf Befreiung nach dem Mißerfolg des Aprilaufstandes gesetzt hatten. In Aufrufen und Adressen wurde die tragische Notlage der bulgarischen Bevölkerung beschrieben und um russische Militärhilfe gebeten. Diese Appelle gingen an die Vertreter des öffentlichen Lebens, hochrangige Militärs und den Zaren.
Eine Botschafterkonferenz in Konstantinopel Ende 1876 sollte die sogenannte Ostfrage durch Verhandlungen beilegen, endete aber ohne jegliche Erfolge. Daraufhin erklärte der russische Zar Alexander II. am 24. April 1877 der Türkei den Krieg. Die Erklärung des russisch-türkischen Krieges hörte die bulgarische Bevölkerung im osmanischen Reich mit Begeisterung. Von den bulgarischen Auswanderern im Ausland stellten sich Hunderte Freiwillige zur Verfügung, versammelten sich in Kischinew und bildeten das bulgarische Freiwillige Korps mit 7.000 Mann. Sie nahmen an den entscheidenden Kämpfen bei Stara Zagora teil, in Pleven und an der Verteidigung des Shipka-Passes, wo die Entscheidung des Krieges herbeigeführt wurde. Die russischen Streitkräfte überquerten die Donau bei Svishtov. Trotz des schweren Winters überquerte die russische Armee den Balkan und befreite Sofia. Nun zogen die Streitkräfte nach Süden weiter und besiegten schließlich die türkische Armee.
Dieser Krieg kostete 200.000 russische, finnische und rumänische Soldaten und Offizieren das Leben. Am 3. März 1878 wurde in der kleinen Stadt San Stefano der Friedensvertrag zwischen Russland und der Türkei unterzeichnet. Dieser Vertrag hatte historischen, aber nicht gesetzlichen Wert und legte fest, daß Bulgarien die Länder einschließen sollte, in denen die Mehrheit der Bevölkerung von der Botschafterkonferenz in Konstantinopel als bulgarisch anerkannt worden war. Bulgarien bestand nun aus den nördlichen und südlichen Landeteilen und einigen Teilen von Makedonien.
Auf dem Berliner Kongreß im Juli 1878 forderte man die Schaffung eines großen unabhängigen Staates im Zentrum des Balkans und änderte den Vertrag von San Stefano. Das Territorium von Bulgarien wurde anders aufgeteilt. Der südliche Landesteil verblieb unter türkischem Einfluß und wurde zur autonomen Region Ost-Rumelien. Am 17. April 1879 wählte die Große Nationale Versammlung den deutschen Prinzen Alexander Battenberg zum Prinzen von Bulgarien. Damit war die Eigenständigkeit wiederhergestellt.

Die endgültige Vereinigung
Die Bulgaren konnten sich mit der Aufteilung ihres Landes durch den Berliner Kongreß nie abfinden. Eine bewaffnete Bewegung zur Wiedervereinigung gründete sich. Am 6. September 1885 verhafteten Einheiten der rumelischen Armee und eine Gruppe bewaffneter Zivilisten den Gouverneur von Ost-Rumelien und lösten die Regierung auf. Man schickte eine Mitteilung an Alexander Battenberg und schlug ihm vor, die Regierung auch in Ost-Rumelien, das so mit dem Fürstentum verbunden werden würde, zu übernehmen. Battenberg griff den Vorschlag auf, so daß die Vereinigung stattfand.

Nun konzentrierte sich die junge und unerfahrene bulgarische Armee an der Grenze zur Türkei. Serbien nutzte die Chance und griff Bulgarien nun an der geschwächten Flanke an. Die bulgarische Armee wurde an der serbischen Grenze schnell überrollt. In mehreren entscheidenden Kämpfen, von denen der größte bei Slivnica stattfand, einem Dorf 28 km westlich von Sofia, konnte die serbische Armee aufgehalten und schließlich zurückgeschlagen werden.

Der dritte Aufstand Am 9. August 1886 wurde Prinz Alexander Battenberg, der keine Protektion des russischen Zaren genoß, von einer Gruppe pro-russischer Offiziere verhaftet und gezwungen abzudanken. Am 25. Juni 1887 wählte die Große Nationale Versammlung den deutschen Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha zum Prinzen von Bulgarien. Die Wahl fand gegen den Willen Russlands statt und war daher unvereinbar mit den Bedingungen des Berliner Kongresses.

Der neue Prinz leistete gute Arbeit - zusammen mit seinem talentierten Premierminister Stefan Stambolov, der bald der "Bismarck der Balkanländer" genannt wurde, gelang es ihm innerhalb von sieben Jahren, von den Großmächten anerkannt zu werden. Möglich wurde dies nur nach der Inthronisierung von Zar Nikolaus II. in Russland. In einem Zeitraum von 30 Jahren machte Bulgarien die industrielle Revolution durch und wurde die führende ökonomische und militärische Macht in den Balkanländern. Im Jahr 1908 ernannte sich Prinz Ferdinand zum Zar und rief Bulgarien zum unabhängigen Staat aus. Die Bulgarische teritoriale Frage blieb allerdings ungelöst.

Die Kriege mit den Nachbarn
Beim Berliner Kongreß 1878 legten die Großmächte die Basis für die folgenden militärischen Konflikte. Im Jahr 1912 schmiedeten Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro ein Bündnis auf dem Balkan. Sie stimmten überein, mit der Türkei Krieg zu führen, um die slawischen Länder zu befreien, die noch unter türkischer Herrschaft standen. Der Krieg wurde dem 5. Oktober 1912 erklärt. Die bulgarischen Streitkräfte befreiten die Stadt Lozengrad und nahmen die als uneinnehmbar betrachtete Festung von Odrin (heute: Edirne) ein. Zum ersten Mal in der Geschichte brachte die Luftfahrt Veränderungen in die Kriegführung. Die anderen Staaten griffen die türkischen Garnisonen an und sicherten sich die militärische Herrschaft.

Zwischen den Verbündeten des Balkans und der Türkei wurde am 17. Mai 1913 in London ein Friedensvertrag unterzeichnet. Seinen Bedingungen zufolge mußte die Türkei den Verbündeten Teile ihrer Territorien abzutreten, die westlich der Linie Midia-Enos lagen. Serbien und Griechenland begannen nun mit militärischen Vorbereitungen für einen gemeinsamen Feldzug gegen Bulgarien. Am 16. Juni befahl 1913 König Ferdinand in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der bulgarischen Armee, die serbischen und griechischen Kontingente in Makedonien anzugreifen. Die serbischen und griechischen Einheiten starteten eine Gegenoffensive. Natürlich nutzten die anderen benachbarten Länder die Situation aus und griffen Bulgarien ihrerseits an. Von allen Seiten unter Beschuß konnte Bulgarien nichts anderes machen als zu kapitulieren.

Am 28. Juli 1913 endeten in Bukarest die Verhandlungen zwischen Bulgarien und seinen ehemaligen Verbündeten mit dem Abschluß eines Friedensvertrages mit katastrophalen Folgen für Bulgarien. Die Bulgaren wurden so ihrer nationalen Einheit beraubt. Die Süd-Dobrudzha (das Gebiet bis zur Donaumündung) und Makedonien gingen verloren. Dies bestimmte Bulgariens Verbündete in den zwei nun folgenden Weltkriegen. Und damit auch die Zukunft als sozialistischer Staat in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg.

Die Weltkriege
An der Seite seiner Verbündeten trat Bulgarien 1915 in den I. Weltkrieg ein. Dies brachte nach dem Ende des Krieges im Friedensvertrag von Neuilly 1919 den Verlust von Ostthrakien an Griechenland mit sich. Dies bedeutet für Bulgarien den Verluste des Zugangs zur Ägäis. Strumica fiel an Serbien. In den Jahren 1919 bis 1923 regierte die Bauernpartei, unter Ministerpräsident Stamboliski, der 1923 ermordet wurde.

Das Jahr 1941 brachte den Kriegseintritt Bulgariens an der Seite der Achsenmächte mit sich. Man kämpfte gegen Jugoslawien und Griechenland, Thrakien und Makedonien wurden deutsch besetzt. Im Dezember folgte die Kriegserklärung an Großbritannien und USA, nicht jedoch gegen die Sowjetunion. Diese erklärte am 5. September 1944 ihrerseits Bulgarien den Krieg. Bereits vier Tage später marschierte die Rote Armee im Land ein. Die Vaterländische Front als kommunistische Organisation ergriff die Macht. Bulgarien wurde nun Volksrepublik und Georgi Dimitrov Regierungschef. Im Friedensvertrag von Paris 1947 wurden die Grenzen von 1940 bestätigt.

Jüngere Geschichte

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung ihrer politischen Einflußshäre begann auch für Bulgarien die Zeit des Neubeginns. Der Staats- und Parteichef Todor Shivkov wurde am 10. November 1989 gestürzt. Im Juni 1990 fanden die ersten freien Wahlen zur Großen Volksversammlung statt, an denen außer der sozialistischen BSP und der Bauernpartei als stärksten Oppositionsgruppe über 40 kleine Parteien teilnahmen. Die Opposition erhielt 184 Sitze, die BSP 210 von 400 Sitzen.

Wichtige politische Ereignisse der jüngeren Geschichte Bulgariens drücken die Öffnung des Landes zum Westen hin aus. Am 15. Dezember 1995 beantragte der Staat den Beitritt zur EU. Die Verhandlungen über den Beitritt zählen derzeit zum laufenden Geschäft bei der Osterweiterung der EU, die durch die Lösung des Konfliktes mit Jugoslawien 2001 starke Aktualität bekommen hat. Der vor den Kommunisten geflohene Thronerbe Simeon II. besuchte Ende Mai 1996 zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkrieges Bulgarien. Und am 17. Februar 1997 faßte die Regierung Sofijanski den Beschluß, den Beitritt als Vollmitglied der NATO zu beantragen. Am 05. September 1998 folgte die Unterzeichnung eines Dreijahresabkommens mit dem internationalen Währungsfond (IWF). Im selben Jahr am 10. Dezember wurde die Todesstrafe endgültig abgeschafft.